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In Bahnitz gehen Strauße spazieren

Das Künstlerdorf Bahnitz ist ursprünglich kein Künstlerdorf. Die Kunst liegt dem Fischerort nicht in den Genen. Barsch, Zander, Aal und Weißfische waren die wirtschaftliche Grundlage der kleinen Siedlung an der Havel. Wer heute nach Bahnitz kommt, will vielleicht einen Kunstkurs besuchen oder als Radwanderer nur übernachten. Und dann vielleicht hier und da die Ateliers entdecken, die heute Bahnitz zum sogenannten „Künstlerdorf“ machen. Christa Biderbick zum Beispiel: die gebürtige Westfälin aus Balve hat in ihrem großzügigen Atelier mit neutralem Nordlicht eine zweite Heimat gefunden. Und vielleicht ihre Wichtigste. In Bahnitz sammelt sich die Summe ihres künstlerischen Lebens. Plastiken aus Polyester frappieren durch einen verstörenden Realismus. Nicht einen sozialistischen Realismus, der mit gerichteten Botschaften einem Klassenauftrag folgt oder nur eine ideologische Richtung illustriert. Die charmante, schmächtige Siebzigerin verstört mit ihren skulpturalen Inszenierungen. Die verschlüsselten Botschaften der gestalteten Körperlichkeit läßt sie lieber unkommentiert und steigert dadurch noch ihr provokantes Potential. Drei Chinesinnen präsentieren als gesichtslose Messehostessen auf einer sich drehenden Scheibe aufgeklappte Laptops, eine schlichtes, altes Paar markiert ohne künstliche Pose eine endgültige Lebensphase, die Darstellung einer japanischen Frau überhöht ästhetisch die Katastrophe von Fukushima. Die Kunst von Christa Biederbick nimmt Stellung, ohne sich festzulegen. den letzten Schritt in der Ausdeutung der künstlerischen Aussage muss immer der Betrachter selbst leisten. Wenn etwa, herausgelöst aus einem historischen Foto, ein amerikanischer Flieger ein Kind schützend im Arm hält, dann prallen emotionale Welten in einer Art aufeinander, dass eine Zusammenführung zu einer gültig resümierenden Bilddeutung kaum möglich scheint. Geborgenheit und Gefahr, Gewalt und Zärtlichkeit, Schutz und absolute Bedürftigkeit: die Künstlerin treibt den selbstverständlich gewordenen Wahnsinn der Welt in ihren Werken auf die Spitze und läßt ihn wirkungsvoll in einer Szene, einer Figur kummulieren. Ihr Ehemann, Karlheinz Biederbick, schrieb als Mitglied der Berliner Künstlergruppe ZEBRA in den Siebzigern ein kleines Kapitel bundesrepublikanischer Kunstgeschichte mit. Seine Polyesterharz-Plastiken entwickeln auf den ersten Blick heroische Assoziationen, auf den zweiten Blick entblößen sie eine irritierende Verletztheit. Seine Kreaturen bergen in sich einen chiffriert dargestellten Widerspruch, virtuos auf eine beängstigende Spitze getrieben. Der Fallschirmspringer zum Beispiel: Hinter ihm der rettende Stoffschirm, er selbst aber in einer Verfassung, die jede Rettung fraglich erscheinen  läßt. Die geordnete Physiognomie ist zerstört, die Aussicht, dass nach dem fatalen Absturz eine weiche Landung folgte, ein Irrtum. Aktuell schafft Karlheinz Biederbick in seinem Atelier kleine Reliefs, deren Bildgegenstand er historischen Fotos der Jahre zwischen 1933 und 1945 entnommen hat. Hitler in Nürnberg, Nazis in Prag, die Konferenz von Jalta: bekannte Fotochiffren der Zeitgeschichte entwickeln als körperhafte Modellierungen eine ungewöhnliche Präsenz. Wir sehen Geschichte neu und beleben ein Interesse, dass durch die viel zu oft gesehenen Fotos eigentlich erloschen war. Plötzlich entsteht Imagination dort, wo schon alles in der geistigen Ablage längst vorgeordnet war.

Harmonie und Frieden dagegen im Kunsthof Bahnitz. Hier lebt Melodie Ebner-Joerges eine impressionistische Idylle in der Nachfolge Monets, allerdings mit den durch die Brandenburger Umgebung erzwungenen Reduzierungen. Der Garten beeindruckt durch Poesie und eine absichtsvolle Natürlichkeit. Keine deutsche Vorgartenidylle, sondern eher ein französisch-legerer Umgang mit Wachsen und Vergehen dominiert hier und läßt Erinnerungen wach werden an den letzten Urlaub in der Normandie mit einem Besuch des Monet-Hauses in Giverny. Prof. Bernward Joerges, der Ehemann, kultiviert das schön restaurierte Anwesen im Milower Land als Begegnungsstätte für romantische Kunst- und Naturliebhaber und Erholungssuchende. Individuelle gestaltete Zimmer laden zum Verweilen, das Frühstück am Morgen und das Abendessen wird in einer urigen Gaststube serviert.

Gegenüber befindet sich ein multifunktionales Haus, das als Pension und Fremdenverkehrszentrale fungiert. Hier werden zur BUGA 2015 in der Havelregion Besucher erwartet, die sich in großen Zimmern mit Küchenzeile selbst verköstigen wollen. Das Havelufer lädt zum Abendspaziergang. Der Brandenburger CDU-Spitzenpolitiker Dieter Dombrowski hat im Zusammenwirken mit örtlichen Freiwilligen dafür gesorgt, dass Landesmittel und Fördergelder so investiert wurden, dass mit Bahnitz ein Ort wiederbelebt und ausgebaut wurde, der einen sofort mit seiner anmutigen Idylle gefangen nimmt. Am Anlieger liegt eine kleine Barkasse mit Dach vor Anker, die dann und wann offizielle Besucher spazieren fährt. Auch Repräsentation und gesellschaftliches Leben kommen hier nicht zu kurz. Auf einer nahen Wiese gehen Strauße spazieren und suchen Gänse nach Futter. Kein Blick in eine agrarische Zukunft, eher eine typische Anekdote in globalisierten Zeiten.

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